In diesen Zeiten, die keine guten sind….

Heute Abend hatte ich einen der schlimmsten Momente meines Lebens.
Ich arbeite in einer – in meiner Stadt sehr bekannten und beliebten – Szene-Kneipe.
Nebenan befindet sich ein Kiosk. Ich habe mir noch nie Gedanken gemacht, aus welchem Land die tollen Menschen nebenan kommen oder welcher Religion sie huldigen.
Vom Hauttyp eher sehr dunkel, vom Inventar her möglicherweise Inder, Sri Lanka  oder Pakistan.
Keine Ahnung.
Ehrlich , scheiß der Hund was drauf, es interessiert mich nicht, weil wir uns seit Jahren kennen und wir mittlerweile eine liebenswerte Symbiose entwickelt haben. Wenn jemand Kippen kaufen wollte, haben wir sie nach Nebenan geschickt, wenn jemand wissen wollte, wo die Party ist, haben sie die Leute zu uns geschickt.
Heute Nacht, nach dem Massaker in Paris, hat sich unser Verhältnis dramatisch geändert.
Als ich rüber ging, mir ein Päckchen Kippen zu kaufen, wurde ich sofort in ein Gespräch verwickelt.
Tenor war, man solle doch bitte all die kriminellen Ausländer ausweisen. Wir Deutschen seien viel zu brav, was Kriminelle anginge. Man möge doch bitte die guten Immigranten von den bösen trennen.
Mein Nachbar, den ich seit ganz vielen Jahren kenne und sehr gerne mag, versuchte mir in seiner Angst und Hilflosigkeit mitzuteilen, er gehöre ja nicht zu den Bösen und er wäre ja d’Accord mit den Menschen, die kriminelle Ausländer ausweisen wollten.
Die Menschen aus anderen Ländern sind mittlerweile so verängstigt, dass sie selbst schon beim Zigarettenkauf sich bemüßigt fühlen, sich für ihre Anwesenheit in Deutschland erklären zu müssen.
Ich war perplex. Ich wusste ernsthaft nicht, was ich antworten sollte.
Das einzige, was mir einfiel, war: (Kopfschüttelnd) „Wir sind Freunde, wir sind Nachbarn. Ihr müsst nicht so tun, als seid ihr deutscher als deutsch. Ihr seid Familie!“

Und ich stolperte komplett entsetzt aus dem Laden.

Liebe Freunde.
Ich fühle mich in meinem eigenen Land nicht mehr zu Hause. Das ist doof, aber für mich nicht gefährlich, weil ich bin käsebleich, blond und habe eine über viele Generationen deutsche Historie.
Wenn aber mein langjähriger Nachbar, mit dem ich nie irgendwelchen Ärger hatte, mich anspricht, dass er sich hier nicht mehr sicher fühlt, dann ist es Zeit, Position zu beziehen.

Wenn wir unseren Anspruch an die Universalität der Menschenrechte ernst nehmen und wenn wir unseren Antifaschismus nicht nur proklamieren sondern auch verteidigen, dann ist jetzt genau der Zeitpunkt, auf die Straße zu gehen.
Wenn mein Nachbar Angst hat, weil er kein Deutscher ist, dann ist Zivilcourage nicht mehr eine Floskel, sondern Bürgerpflicht.

No paseran!

2 Kommentare zu “In diesen Zeiten, die keine guten sind….

  1. Das ist wirklich schrecklich. Aber schön geschrieben. Toller, wenn auch trauriger Beitrag.

    • missingchair sagt:

      Magenta, meine liebe Freundin, in diesen Zeiten, die keine guten sind, müssen wir laut sein. So wie heute. In Hannover; Leipzig, München, Berlin, Mainz, Saarbrücken usw usf haben wir gezeigt, dass Deutschland nicht Dresden ist. Nicht mal Sachsen.
      Wer nicht Antifa ist, ist Profa.
      Punkt.

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